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Wilder Osten.

Reportage über zwei innovative Hotelprojekte in der Lausitz. Kunde: Transgourmet Magazin.

Reportage über zwei innovative Hotelprojekte in der Lausitz. Kunde: Transgourmet Magazin.

Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm mit den Koordinaten 51° 29'30" Nord / 14°06'59" Ost ist auf keiner Seekarte eingezeichnet, und auch an Nord- und Ostseeküste sucht man ihn vergeblich. Stattdessen findet man das maritime Wahrzeichen in jedem guten Hotelführer, wo es Erholung suchenden Reisenden mit vier leuchtenden Sternen den Weg in die Lausitz weist.

Die Lausitz? Im Westen nahezu unbekannt, hat sich der ehemalige Braunkohle-Tagebau im Osten einen zweifelhaften Ruf als hoffnungslos zerstörte Landschaftsruine erworben. Mitte des letzten Jahrhunderts rissen mächtige Abraumbagger riesige Wunden in Feld, Wald und Wiese, Dutzende Dörfer wurden entsiedelt und abgetragen. Nach und nach verwandelte sich die gewachsene Region in eine Mondlandschaft gewaltigen Ausmaßes, bis nach Jahrzehnten des Raubbaus auch die Brikettfabriken, Kohleumschlagplätze und Kraftwerke sterben mussten. Und mit ihnen die Arbeitsplätze. Ganze Familien verließen in Scharen die Region, die Lausitz blutete aus.

Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik sagt, dass Energie nur umgewandelt, aber nicht vernichtet werden kann. Vor allem mit Beginn der Wende floss eine neue, völlig andere Energie zurück in die Lausitz. Eine, die der Landschaft ihre Schätze nicht nehmen, sondern zurückgeben will.

Nach Jahrzehnten der Rekultivierung entsteht zwischen Berlin und Dresden durch die Flutung früherer Tagebaue eine spektakuläre Wasserwelt, in der über zwanzig künstlichen Seen zu einer der größten Wasserlandschaften Europas zusammenwachsen. Noch ist es eine Landschaft der Kontraste: Auf der einen Seite idyllische Seen, die schon vor Jahrzehnten rekultiviert wurden, in direkter Nachbarschaft Gruben, die gerade erst geflutet werden. Doch mutige Ideen und eine milliardenschwere staatliche Finanzspritze zeigen bereits beachtliche Erfolge.

Nur etwas ganz Wesentliches fehlt. Die Region braucht dringend Investoren, Menschen mit Engagement und Pioniergeist.

Im Sommer 2006 sitzt Heike Struthoff am Ufer des schon fast vollständig gefluteten Geierswalder Sees und beobachtet die ersten Erholungssuchenden, die zu Fuß, mit dem Boot oder auf

dem Rad die Gegend erkunden. Ein Wassersportverein hat sich gegründet, ein Rundweg für Spaziergänger und Radfahrer ist angelegt, aber ansonsten befindet man sich am Geierswalder See in einem kulinarischen Ödland. Was hier fehlt, ist eine gute Gastronomie, denkt sich die begeisterte Sportseglerin, vielleicht sogar ein kleines Hotel mit einem gemütlichen Restaurant und einer Seeterrasse.

Man muss wissen, Heike Struthoff und ihr Mann haben lange in der Gastronomie gearbeitet. Das war damals in Berlin, bevor das Paar die Tankstelle ihres Vaters in Hoyerswerda übernommen hat. Und obwohl zwischenzeitlich ein eigenes Autohaus entstanden ist, hat die Leidenschaft für die Gastronomie die beiden nie losgelassen.

Von nun an steht Heike Struthoff Jahr für Jahr beim Bürgermeister, fragt nach Grundstücken, erkundigt sich nach dem aktuellen Stand des Baurechts und wirbt unermüdlich für ihr Herzensprojekt. Abends im Wohnzimmer wird diskutiert, gedacht und gezeichnet, bis die ersten Entwürfe immer konkretere Formen annehmen.

Ungewöhnliche Ideen fließen ein, werden überprüft, übernommen oder verworfen. Nur eine Vorgabe ist von Anfang an gesetzt: Eines dieser banalen, rechteckigen Hotelkästen darf es auf keinen Fall werden, das würde die ambitionierte Wassersportlerin nicht zulassen. Wenn wir diese Vision umsetzen, erklärt sie ihrem Mann, dann muss es etwas Besonderes, Einmaliges sein. Und plötzlich ist sie da, die verrückte Idee. Heike Struthoff hat ein Symbol vor Augen, das später zum Wahrzeichen für die Energie und den Ideenreichtum einer ganzen Region werden wird: ein Leuchtturm.

Es genügt nicht, eine Idee zu haben. Man muss sie auch umsetzen können.

Auch wenn der Bürgermeister das extravagante Projekt von Anfang an unterstützt, der weite Weg zu seiner Realisation ist voller Hindernisse. Ein jahrelanger Hürdenlauf beginnt. Die Bank will überzeugt sein, ständig ändern sich die Bebauungspläne, es muss nachfinanziert werden, und der Verkauf des Ufergrundstücks durch die Sanierungsgesellschaft LMBV zieht sich ebenfalls endlos hin.

Man kann die Jahre auch so zusammenfassen: Wenn die zukünftige Hotel-Besitzerin nicht über eine so unerschöpfliche, strahlende Energie und zugleich charmante Überzeugungskraft verfügen würde, dann könnte heute kein Gast den 360-Grad-Blick über die fast endlose Seenlandschaft vom rot-weißen Leuchtturm genießen.

Ihre Beharrlichkeit zahlt sich aus. Gemeinsam mit Architekt Mike Meder kann Heike Struthoff ihren verrückten Traum vom Leuchtturmhotel in die Realität umsetzen. Insgesamt 26 Zimmer, fünf Ferienwohnungen und ein Ferienhaus sollen es werden, dazu ein Restaurant mit Außenterrasse und ein hauseigener Bootsanleger, der wassersportbegeisterten Gästen den Landgang ermöglicht. Doch eine Frage bleibt offen: Wie nutzt man einen Leuchtturm, der keinem Ozeanriesen, sondern erlebnishungrigen Touristen den Weg in die Lausitz weisen soll?

Wieder reifen Ideen, wieder werden Ideen verworfen. Schließlich fällt die Entscheidung: In 22 Meter Höhe über dem Wasserspiegel wird der Leuchtturm ein Turmzimmer erhalten, verteilt auf drei Etagen und mit einem spektakulären Ausblick vom Rundum-Balkon.

Seit Beginn der Seefahrt dient ein Leuchtturm nicht nur zur Positionsbestimmung, er weist den Weg zurück in die Heimat. Symbolisch gilt das auch für das rot-weiß gestreifte Wahrzeichen am Ufer des Geierswalder Sees. Junge Menschen, ja ganze Familien kehren von weit her zurück zu ihren Wurzeln. Gab es früher in der Region kaum noch Beschäftigung für sie, wird ihre Arbeitskraft mittlerweile dringend gebraucht.

Unter den Rückkehrern ist auch Küchenchef Daniel Paula. Ohne zu zögern ergreift er die Chance, die Leitung des geplanten Restaurants zu übernehmen. Drei Monate vor der offiziellen Eröffnung tritt Daniel seine neue Arbeitsstelle an. Ein Glücksfall für die Hoteliers: Der neue Küchenchef hat bereits zweimal eine Restaurant-Neueröffnung begleitet und weiß aus Erfahrung, dass eine Küchenplanung nur in der Theorie reibungslos funktioniert. Als Mann der Praxis packt er an, gibt wertvollen Input. Es hat sich gelohnt. Heute ist der Küchenbereich im Restaurant „MehrSeen“ so perfekt durchorganisiert, dass Daniel Paula mit seinen zehn Mitarbeitern problemlos eine dreimal so große Zahl an Essen zubereiten kann wie ursprünglich geplant.

Heike Struthoff denkt unkonventionell, sie liebt und lebt die Vielfalt. So hat sie mit „MehrSeen“ auch kein reines Spezialitätenrestaurant für Fisch und Seafood konzipiert. Gekonnt verbindet die maritim inspirierte Speisekarte in ihrem umfangreichen Angebot Regionalität und Internationalität. Eine kulinarische Vielfalt, die lückenlos aus der Fülle der Transgourmet Produktpalette schöpfen kann.

Dass damit nicht nur bei den Gästen des gut besuchten Restaurants keine Wünsche offenbleiben, zeigt sich auch beim Buchungsstand von Übernachtungen, Festen und Feiern. Die gesamte Hotelanlage ist mittlerweile so beliebt, dass heiratswillige Pärchen bis 2017 warten müssen, um im LeuchtTurm den Eintritt in den Bund der Ehe zu feiern.

Vom Leuchtturmobjekt zum Leuchtturmprojekt: Die Lausitz bekommt eine neue Zukunft, eine neue Lebensqualität. Was vor vielen Jahren als verrückte Idee einer tatkräftigen Visionärin begann, ist heute zu einem Leuchtturmprojekt für die ganze Region geworden.

Wer einen weiteren Beweis für den Pioniergeist des Seenlandes sucht, dem empfiehlt sich der Besuch eines ungewöhnlichen Lausitzer Wahrzeichens, das nur wenige Kilometer entfernt eine nahezu magische Anziehungskraft auf Regenerations-bedürftige Körper und Seelen ausstrahlt: dem Ayurveda-Turm des Seeschlösschens. Hier, am Ufer des Senftenberger Sees, beginnt eine andere, ebenso inspirierende Geschichte. Auch sie erzählt von einem Pionier. Seine Name: Maik Zander.

In der Nähe von Senftenberg aufgewachsen, legt ihm sein Vater das Zeichnen bereits in die Wiege. Und Maik Zander den Zeichenstift nie wieder aus Hand. Nach seinem Ingenieurstudium wird er als jüngster Hochschullehrer an die Ingenieurschule in Senftenberg gerufen. Während er den Studenten die Programmierung von CNC-Maschinen beibringt, lässt Maik Zander seiner Leidenschaft, dem technischen Zeichnen freien Lauf.

Ein Pionier ist ein Visionär. Er sieht nicht nur eine Zukunft, die noch kein anderer sieht. Er will sie auch gestalten. Schon als Kind hat Maik Zander ganze Häuser entworfen und technische Bauzeichnungen angefertigt. Endlich, mit der Wende, entstehen aus realistischen Entwürfen reale Gebäude. Darunter ein Haus, das ein Café, ein Restaurant und eine Bäckerei beherbergt. Dort lernt er seine Frau kennen, die das Geschäft führt, und steigt an ihrer Seite selbst in die Gastronomie ein.

Dieser Moment wird zum Startschuss für die gastronomische Karriere des den Senftenberger Pioniers. Zunächst verwirklicht Maik Zander seinen Traum von einem eigenen Strandrestaurant, bevor er nur wenige Jahre später den Bau der „Lausitztherme“ in Angriff nimmt, einem Hotel mit 16 Zimmern und einer angeschlossenen Saunalandschaft, nur einen Steinwurf vom Wasser entfernt.

Was im Rückblick wie mit leichter Hand realisiert aussieht, besteht in Wirklichkeit aus pausenlosem persönlichen Einsatz. Erholung findet nur für Maik Zanders Gäste statt. Er fungiert zugleich als Projektmanager, Bauleiter und Geschäftsführer, kümmert sich um die Aufgüsse in der Sauna und rennt nebenher ans Telefon, um Buchungen für Therme und Hotel entgegenzunehmen. Und Maik Zander muss sehr viel rennen, denn der Strom der Gäste reißt nicht ab.

Vom wachsenden Erfolg bestätigt, wagt Maik Zander den mutigen Schritt zum Wellnesshotel. Wieder kommt der geliebte Zeichenstift zum Einsatz, wieder heißt der Projektentwerfer Maik Zander. Bereits zwei Jahre später wird das neu gestaltete Wellnesshotel „Seeschlösschen“ eröffnet. Man kann sich leicht vorstellen, welcher Belastung ein Hotelier ausgesetzt ist, der Umbau und Erweiterung seines Hauses im laufenden Betrieb durchführt und gleichzeitig als Projekt- und Bauleiter fungiert. Die Doppelbelastung fordert ihren Tribut, Maik Zander fühlt sich ausgebrannt.

Dass im neuen Wellness-Resort ein Masseur mit Erfahrung in indischer Heilkunst arbeitet, ist ein glücklicher Zufall. Der Therapeut beherrscht nicht nur die klassischen Massagetechniken, er integriert zusätzlich ayurvedische Elemente in seine Behandlung. Maik Zander empfindet diese Anwendungen als äußerst wohltuend, und auch unter seinen Gästen registriert das Seeschlösschen eine beständig wachsende Nachfrage.

Jeder Weg braucht einen Wegbereiter. Wer als Pionier vorangeht, verfügt über zwei elementare Eigenschaften: Den Mut, einen bislang unbekannten Weg mit all seinen Risiken einzuschlagen, sowie die ständig wachsende Erfahrung, die ihn jeder neue Schritt unablässig lehrt.

Maik Zanders Interesse an Ayurveda wächst behutsam, aber unaufhaltsam. Er reist zur Kur nach Österreich, lässt sich dort ayurvedisch behandeln, lernt die ayurvedische Küche kennen und fühlt sich im Anschluss wie neugeboren. Am letzten Tag der Kur steht sein Entschluss fest. Er will die indische Heilkunst in das Wellnesskonzept des Seeschlösschens integrieren. Selbst wenn es die Neugestaltung der gesamten Anlage erfordert und sogar die Sterne-Ambitionen der hoteleigenen Gourmetküche infrage stellt, auf die Maik Zander ganz besonders stolz ist.

Pioniergeist heißt Schritte zu wagen, die andere nicht wagen würden. Wieder greift der visionäre Inhaber des Seeschlösschens zum Stift. Wie schon bei der Planung des Haupthauses entwirft Maik Zander den millionenschweren Umbau in Eigenregie: vom Zeichnen der baulichen Entwürfe über die Bauorganisation bis hin zur innenarchitektonischen Gestaltung liegt das gesamte Projekt in seiner Hand.

Mit dem Ende der Bauarbeiten zeigt sich, wie logisch und konsequent der Bauherr das innovative Konzept in sein 4-Sterne-Superior-Hotels integriert hat. Ein weithin sichtbares Zeichen ist der neue Ayurveda-Turm, der auf vier Ebenen ein speziell für ayurvedische Behandlungen ausgelegtes Therapiezentrum beherbergt. In seiner einladend warmen Atmosphäre findet auch der in Indien ausgebildete Ayurveda-Arzt Vaidya Kumaran Rajsekhar genügend Ruhe und Raum für seine Praxis.

Auch wenn sich der Maik Zander mit der Integration des Ayurveda-Konzepts von der Idee eines Michelin-Sterns verabschiedet hat, ein Feinschmecker-Restaurant sollte sein „Sandak“ trotzdem bleiben. Das war anfangs keine leichte Aufgabe für den neuen Küchenchef, der aus der klassischen französischen Küche kommt. Mittlerweile beherrscht Mike Schulze diesen kulinarischen Spagat ganz hervorragend. Im stilvoll eingerichteten Hotelrestaurant serviert der Küchenchef heute nicht nur aufwendig zubereitete klassische französische Gerichte, sondern überrascht auch Abwechslung suchende Feinschmecker mit gehobener, ayurvedisch inspirierter veganer Küche.

Auf Gäste, die zu einer Ayurveda-Kur ins Seeschlösschen gekommen sind, wartet ein separates, nahezu privates Restaurant mit eigener, rein ayurvedischer Küche. Hier wird jede Speise individuell auf die jeweilige Behandlung abgestimmt und konsequent nach ayurvedischen Prinzipien zubereitet, natürlich ebenfalls tagesfrisch und bevorzugt aus regionalen Bio-Produkten.

Die harte Arbeit hat sich gelohnt, das Konzept hat Erfolg.

Auch wenn Maik Zander mit Abschluss der Bauarbeiten seinen Zeichenstift aus der Hand gelegt hat, er lässt ihn vorsichtshalber in Reichweite liegen. Wer weiß, was der umtriebige Unternehmer in Zukunft noch alles planen, zeichnen und bauen wird. Heute darf er sich aber erst einmal zurücklehnen und stolz sein auf das, was er am Senftenberger See geschaffen hat: ein außergewöhnliches Seeschlösschen mit einem märchenhaften Turm, den er mit mutigen Visionen und unerschöpflicher Energie zu einem weiteren Leuchtturmprojekt für die ganze Region gemacht hat.

Trifft man auf Menschen wie Heike Struthoff oder Maik Zander begreift man schnell, was sie verbindet: echter Pioniergeist. Mit unermüdlicher Tatkraft, mit Mut zum Risiko und ungewöhnlichen Ideen, die manchmal auch etwas verrückt erscheinen, treiben sie Projekte voran, die nicht nur eine ganze Region beleben können. Sondern beweisen, dass auch im wilden Osten die Zukunft eine Zukunft hat.